Oktober 2

Von Warzen, Buckeln und anderen Vorurteilen

Hexen gibt’s doch gar nicht! Oder doch?

Der Blick meines Gegenübers wird starr.
Misstrauisch beäugt die Dame mich, nachdem ich mich vorgestellt habe. Ihre Gesichtszüge sagen irgendetwas zwischen „gibt’s doch gar nicht!“ und „Tu mir nichts!“

Ich bin Stefanie Gralewski – eine Hexe. Die Berliner Hexe.

Auch wenn ich mich normalerweise nicht so offensiv darstelle, kommt es manchmal vor, dass andere mich so ankündigen oder vorstellen. So wie die Dame, der ich hier vorgestellt wurde, reagieren viele auf mich. Zunächst reichen Sie mir noch freundlich lächelnd die Hand, zucken dann aber kurz zurück. Befürchten sie, sie würden in blitzenden Rauchwolken zu einem Frosch verhext, sobald sie etwas Falsches sagen? Möglicherweise sind die Leute auch irritiert, weil ich weder eine Hakennase, keine Warzen und aktuell auch noch keinen Buckel habe.

Und wovor erschrecken die Leute überhaupt? Was ist eine Hexe eigentlich genau? Ist eine Hexe gar mit dem Teufel im Bunde? Hat das irgendwas mit Satanismus zu tun? Treffe ich mich nachts etwa mit Freundinnen auf dem Friedhof? Geh ich in Flammen auf, wenn ich eine Kirche betrete? Diese Fragen und noch viel mehr möchte ich hier gern beantworten.

Obwohl – so leicht ist das mit einer Antwort nicht. Denn es gibt weder eine allgemeingültige Erklärung (und jedes zu diesem Thema veröffentlichte Buch hat wohl eine andere Definition), noch gibt es eine geregelte Ausbildung oder gar Zertifikate. Seit mehr als 18 Jahren suche ich in den verschiedensten Quellen nach den historischen Ursprüngen der Hexerei und der Vorurteile darüber. Dabei versuche ich meine Ergebnisse und Erkenntnisse mit meinen eigenen Fähigkeiten, Ansichten und Talenten in Einklang zu bringen. Hexe zu sein ist meiner Meinung nach einfach ein Lebensgefühl, dass sich kaum in Worte fassen lässt. Ich möchte hier dennoch erklären, was ich darunter verstehe.

Fehlübersetzungen und viel Politik

Werfen wir zunächst einmal einen Blick auf das Wort „Hexe“: Dieses stammt vom mittelhochdeutschen „hecse“ bzw. vom althochdeutschen „hagzisse“ ab. Hier kommt uns vielleicht der Wortstamm „hag“ von Worten wie „Hagebutte“ bekannt vor. „Hag“ bedeutet soviel wie Zaun oder Hecke.
Mit Hexe ist also jemand gemeint, der auf einer Hecke oder einem Zaun sitzt, scheinbar „reitet“. Und ehrlich gesagt, mag ich dieses Bild sehr gern. Wenn ich mir vorstelle, das ich auf einem Zaun sitze, der die Welten trennt, dann passt das ganz gut zu meinem Leben. Mit dem einen Bein schaukle ich in der bodenständigen, diesseitigen Welt und mit dem anderen Bein in der jenseitigen, spirituellen Welt. Ich beschäftige mich nicht nur mit Religionen, Ritualen und Magie. Politik, Neurologie und Wirtschaftspsychologie finde ich genau so interessant. Mit meinen Freunden kann ich mich über Jahreskreisfeste ebenso austauschen, wie über den neuesten Promiklatsch. Probleme gehe ich nicht nur mit Weihrauch und Gebet an, sondern auch mit handfesten Lösungen.

Hexen sind Zaunreiterinnen

Dass allein schon das Wort „Hexe“ einen so schlechten Ruf bekommen hat, liegt in einer (von vielen) Fehlübersetzung der christlichen Bibel. Die ganze Hexenverfolgung früher (und auch heute noch), geht auf eine einzige Bibelstelle zurück. Im Alten Testament, 2. Buch Mose (Exodus), Kapitel 22, Vers 17 steht: „Die Zauberinnen sollst Du nicht am Leben lassen.“ (Lutherbibel, Ausgabe von 1984). Im hebräischen Originaltext ist jedoch anstelle des Wortes „Zauberinnen“ (in manchen Übersetzungen „Hexe“) das Wort „kasepha“ zu finden. Dieses Wort bedeutet eigentlich „Priesterin“.
Und langsam erkennt man das politische Geschehen hinter der Hetzjagd: Weibliche Priesterinnen hatten in vorchristlichen Zeiten einen hohen gesellschaftlichen Stand und waren durchaus auch vermögend. In die patriarchalen (männerdominierenden) Strukturen der ersten (und auch späteren) Christen passte das freilich nicht.

Auch wenn nicht nur Priesterinnen verfolgt wurden und eine Verfolgung praktisch jeden treffen konnte (arm, reich, gläubig oder nicht, mitten in der Gesellschaft oder eher abseits, hübsch, hässlich, männlich, weiblich), waren die meisten Opfer Frauen. Das Leben war manchmal hart, Kriege und Wetterkapriolen überzogen das Land und sorgten für Hunger und Not. Da wir Menschen offenbar immer einen Sündenbock brauchen und alle Andersgläubige irgendwann vertrieben waren, sollten nun die Frauen als Schuldige für das Elend der Welt herhalten. Praktischerweise hatte eine Frau ja schon am Anbeginn der Zeit für die Vertreibung aus dem Paradies gesorgt. Rechtfertigung schien es also genug zu geben.

Später waren es dann vor allem politische Gründe, alles was Frauen stark und eigenständig erscheinen ließ, zu unterdrücken. Dass die Einführung des Frauenwahlrechtes weniger damit zu tun hatte, Frauen gleichberechtigt zu behandeln, ist inzwischen vielleicht bekannt, führt aber hier zu weit. Als in den 1950er Jahren die letzten Gesetze gegen Hexerei gekippt wurden, fiel das mit der Stärkung der Frauenrechte zusammen und ergänzte sich auch zur religiösen Selbstbestimmung der Frau. Daher wird weibliche Spiritualität auch heute fälschlicherweise noch oft mit Feminismus gleichgesetzt.
Doch viel geändert hat sich seit den 1950er Jahren nicht.

Klar, gibt es inzwischen (wenige) Frauen in Führungspositionen. Frauen dürfen Hosen tragen und müssen Ihren Mann auch nicht mehr um Erlaubnis bitten, wenn sie arbeiten wollen. Starke, selbstbewusste Frauen werden aber immer noch argwöhnisch beäugt. Einigen wird dann sogar die Weiblichkeit abgesprochen. Von der viel gepriesenen, aber dennoch nicht umgesetzten, Gleichbehandlung mal ganz abgesehen.

Eine Hexe kann man äußerlich nicht erkennen

Auch das scheint einigen Menschen Kopfzerbrechen zu bereiten. Man erkennt Hexen nicht an ihrer Kleidung, an ihrem Schmuck oder an ihrem Lebensstil. Eine Hexe kann sich schwarz kleiden. Muss sie aber nicht. Es könnte auf eine Hexe hinweisen, wenn sie ein Pentagramm an einer Kette trägt. Muss es aber nicht. Man kann eine Hexe gar nicht erkennen. Sie erkennt sich nur selbst als solche.

Und das ist wichtig, denn eine Hexe kann man nicht werden. Du kannst zwar verschiedene Handwerke lernen, die dem Klischee nach zu Hexen passen könnten (Karten legen, Rituale ausführen, Kräuter sammeln) oder auch eine Ausbildung zur Priesterin abschließen – aber eine Hexe macht das noch nicht aus Dir.

Entweder man ist es oder man ist es nicht. Das hat nichts mit elitärem Denken oder Arroganz zu tun. Es bedeutet auch nicht, dass eine Hexe besser wäre, als andere Menschen – aber eben auch nicht schlechter. Viele entdecken leider erst spät, dass in ihnen das Hexen-Gefühl steckt. Den meisten wurde noch in der Kindheit Feinfühligkeit, spirituelles Talent und der Wunsch nach Selbstbestimmung aberzogen.

Die meisten Hexen haben zudem einen äußerst starken Freiheitsdrang und fühlen sich nicht wohl, wenn sie unter Druck gesetzt werden. Egal, ob es sich hier um Zeitdruck, eine enge Wohnung oder traditionelle bzw. religiöse Einschränkungen handelt. So manch einen zieht es in die Einsamkeit der Natur. Andere fühlen sich in einer Gruppe Gleichgesinnter geborgen.

Eine Hexe sucht nach Erfüllung und Selbstverwirklichung auf eigenen Wegen, in eigenem Tempo und in Selbstbestimmung.

Viele Hexen haben einen ungeheuren Wissensdurst, der dafür sorgt, dass sie gute und aufmerksame Zuhörer sind und oft Unmengen an Büchern verschiedenster Themenbereiche besitzen. Daher werden Hexen manchmal missverstanden und neugierig genannt. Doch es ist viel mehr!
Wir Hexen versuchen die Zusammenhänge in der Welt und im Kosmos zu ergründen – wissenschaftlich, historisch, spirituell. Auch darum sind wir gute Ratgeber in schwierigen Lebenssituationen.

Es gibt viele Varianten

Um eine Hexe zu sein ist es nicht nötig, einer bestimmten Religion anzugehören. Es gibt heidnische bzw. pagane Hexen, die sich ganz allgemein vorchristlichen Göttern und Göttinnen nahe fühlen.
In den USA und in Großbritannien (zeitweise auch in Deutschland) wurde das sogenannte Hexentum gleichgesetzt mit den Wicca. Wicca ist eine Mysterientradition, die sich in den 1950er Jahren von England aus gen USA ausbreitete. Einige Hexen sind Wicca, die meisten jedoch nicht. Es gibt ebenso christliche, buddhistische und sogar muslimische Hexen. Daher können Hexen natürlich auch ganz normal in eine Kirche gehen, wenn sie das möchten. Ich selbst finde verschiedene Religionen sehr spannend und war auch schon in verschiedenen Gotteshäusern zu Andachten und Gebeten. Und natürlich gibt es auch atheistische Hexen, also solche, die an keine Götter glauben. Satanismus (genauer die Church of Satan) hat so gar nichts mit Hexen zu tun, also sind Hexen auch keine Satanisten (und treiben sich gewöhnlich auch nicht nachts auf Friedhöfen herum).

Hexen können sich mit Magie, Kräutern, Weissagungen, Meditationen, Göttern und Ritualen befassen – aber sie müssen es nicht. Es ist nicht Bedingung, all das zu tun um eine Hexe zu sein.
Die Bezeichnung sagt außerdem weder etwas darüber aus, ob die Person männlich oder weiblich ist, noch ob sie ein böser oder ein guter Mensch ist. Die Bezeichnung sagt nur, dass diese Person weiß, dass es noch eine andere Welt gibt als die diesseitige, sichtbare.

Erkennst Du Dich hier vielleicht sogar wieder? Dann bist Du vielleicht eine Hexe. Dann bist Du vielleicht eine sehr alte Seele, die sich nach Spiritualität und Wissen sehnt. Du darfst natürlich eine Bezeichnung finden, die zu Dir passt. Eine Bezeichnung, die Du als passend empfindest. Ob Du Dich nun Hexe, PriesterIn, SchamanIn, Medium oder WeiseR nennst, ist letztlich völlig egal. Ob Du Dich in einer Religion zu Hause fühlen oder eine wilde Mischung bevorzugen, liegt ebenso in Deinen Händen.

Vielleicht findest Du, dass nichts so richtig passt. Dann bleib doch einfach bei der Bezeichnung Mensch. Oder Du erfindest ein Wort. Wie auch immer Du Dich entscheidest:

„Lass Dich nicht unterkriegen, sei frech und wild und wunderbar!“

Astrid Lindgren

Stefanie Gralewski

Über die Autorin

Ich bin Stefanie Gralewski und das hier ist mein Blog. Es ist kein Anleitungsblog, nicht gefüllt mit Weisheiten oder weltbewegenden Themen. Ich teile hier meine Gedanken, Ansichten und Ideen mit dem, der es lesen möchte. Mein Alltag ist zuweilen anstrengend, magisch, nachdenklich, lustig – aber immer voller Neugier auf das Leben.

  • Sehr interessant, vielen Dank für die Aufklärung. Ich denke in der heutigen Zeit sähen Hexen auch nicht mehr so aus. Schliesslich gibt es für Warzen auch Behandlungsmöglichkeiten und gegen den Buckel hilft ein ergonomischer Bürostuhl auf dem Besen… :p

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